Momentaufnahme Februar 2023. Frühe Midlife-Crisis?
Ich fühle mich hoffnungslos. Ich sitze in einer wunderschönen Wohnung, ein Glücksfall für Köln. Wenn auch natürlich kein günstiger. In den Nachrichten wechseln sich Berichterstattungen über Krieg, Erdbeben und menschliche Notstände ab. Menschen, die kein Zuhause mehr haben, kein Essen und vielleicht gerade ihre Familie verloren haben. Und wenn gerade kein Krieg wäre (als ob das jemals möglich wäre, solange es Menschen gibt), dann sehen wir Szenen vom Klimawandel, die irgendwie zeigen: Es ist nicht fünf nach zwölf, es ist halb eins durch, das wars. Ich bin nun so „alt“, dass meine Frauenärztin mich auf die 35-Jahre-alt Grenze hinweist. Ich wollte früher mal Kinder oder eins zumindest. Aber heute frage ich mich wie, wie soll ich das rechtfertigen? Und selbst wenn ich meinen persönlichen Wunsch unabhängig von der gesellschaftlichen Lage wahr machen würde, wie soll man die Verantwortung tragen und den Nachwuchs in diesen Zeiten finanzieren? Ich müsste fürs Alter vorsorgen. Undenkbar, solange ich in Köln wohne. Aber ich liebe diese Stadt. Altersvorsorge für unsere und jüngere Generationen? Bleibt wohl nur nicht lange zu leben. Ich müsste mich damit auseinandersetzen, aber ich tue es nicht.
Menschen verarbeiten Gefühle unterschiedlich. Mir hilft das Schreiben. Es tut gut, die Gedanken aus dem Kopf aufs digitale Papier zu packen. Ich will das auch tun, um mich zu erinnern. An mich. In unterschiedlichen Zeiten.
Ich bin ein sehr glücklicher Mensch. Eigentlich. Aber ich fühle mich langsam immer öfter ohnmächtig, hoffnungslos, ohne Ziel, ohne Zukunft. Fühle mich gefangen. Dabei bin ich gesund und privilegiert, es geht mir objektiv gut. Natürlich dürfen wir traurig sein, auch wenn wir nicht direkt von den schlimmen Nachrichten in den Medien betroffen sind. Das ändert ja nichts an der persönlichen Situation und den Gefühlen, die man spürt.
Ich hatte immer viel Glück. Wurde nie gemobbt, hatte viele Freunde, einige begleiten mich seit dem Kindergarten. Das ist unbezahlbar. War soweit ich denken kann immer gesund. Nichts gebrochen – für wilde Aktionen war ich schon immer zu vorsichtig. Durfte mit einem Hund aufwachsen, was mich für immer positiv geprägt hat. Habe bis heute ziemlich gesunde Eltern, wenn man von altersüblichen Strapazen absieht. In meinem Alter ist das keine Selbstverständlichkeit mehr. Auch dafür bin ich sehr dankbar.
Ich bin dankbar, dass ich ein gesundes Essverhalten habe. Ich bin dankbar, dass ich soziale Medien gesund einordnen kann. Dass Bilder nicht die Realität bedeuten. Ich bin dankbar, dass ich mich sehe wie ich bin, wenn ich in den Spiegel schaue. Dass ich grundsätzlich ziemlich zufrieden bin und den Menschen im Spiegelbild mag. Ich bin dankbar, dass ich nie von irgendwas abhängig geworden bin, nie zur falschen Zeit am falschen Ort war. Mich keine hartnäckige Sucht begleitet. Ich bin dankbar, in einer Zeit zu leben, in der Menschen offen sagen und zeigen können, wen sie lieben. Ich bin dankbar, abends auf die Couch fallen zu können, das Privileg Freizeit zu haben statt Sorgen um die nächste Mahlzeit. Ich bin dankbar für meinen Schul- und Uniabschluss, die eine wichtige Basis im Berufsleben sind. Ich bin für unglaublich vieles dankbar. Und eigentlich sehr gut darin, mir das regelmäßig vors Auge zu führen und objektiv einzuordnen.
Aber heute fühle ich mich hoffnungslos. Sehe kein Ziel. Kein wohin, wofür. Sehe nicht, wie man sich eine Zukunft finanzieren soll. Wie man dem Klimawandel Einhalt gebieten soll. Wie Menschen in Frieden leben können. Ich ärgere mich, dass ich als Individuum die Frage nach einem Kind im großen Ganzen betrachten muss. Und wünschte, Politiker würden einem das Gefühl geben, das mit dem Klima schaffen wir, es gibt Zukunft. Aber das wäre wohl kaum glaubhaft darzulegen.
Ich konnte mich schon immer über kleine Dinge freuen, diese Eigenschaft fand ich schon immer sehr wertvoll. Ploppbier öffnen für andere (nur öffnen, ich trinke keinen Alkohol). Freunde umarmen, gerne beide Seiten. Hund, Hund, da drüben läuft ein Hund! Das Öffnen des Nutella-Plastikdeckels (hallo und tschüss Klima!). Ein Schokokuchen mit flüssigem Kern. Lauthals mit der Freundin einen Lieblingssong im Radio mitsingen. Und dann da dieses andere große Ganze: am Leben zu sein. Ich bin dankbar, am Leben zu sein. Dankbar, gesund zu sein. Freunde zu haben. Hundemama zu sein. Und nun nach all diesen Zeilen atme ich tief durch und fühle mich etwas besser. Hunde leben von Moment zu Moment, von Tag zu Tag. Und das ist wohl das Gesündeste, was man tun kann.
P.S.: Aufgrund möglicher Fässer, die ich in diesem Gedankenschwall geöffnet habe, sollte ich die Kommentarfunktion vermutlich deaktivieren. Soll man solche Gedanken veröffentlichen? Keine Ahnung. Ich glaube aber kaum, dass ich mit diesen Gefühlen alleine bin in meiner Generation. Und Gefühle totschweigen hat doch noch nie geholfen.
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