Er starrt mich an – schaut mir dabei genau in die Augen. Ich überlege: Soll ich seinem Blick standhalten oder mich desinteressiert abwenden? Ich entscheide mich für Letzteres und beiße erneut in mein Brot. Brot mit Schinken. Ich bin sicher, es würde ihm schmecken. Und ich glaube, er ist sich dieser leckeren Tatsache ebenso bewusst.
Seit über einer Woche komme ich wieder in den Genuss, mich als Hundehalterin zu fühlen. Montag vergangene Woche zog Carlos bei mir ein. Frauchen und Herrchen sind aktuell gen Urlaubssonne verreist. Carlos, ein Ridgeback, ist schon objektiv betrachtet ein Prachtkerl, groß und stark gebaut. Mit seinen acht Jahren ist er weder ungezähmt wild, noch rentenmäßig langsam. Das Paar, dem der Gute gehört, hat ihn gut im Griff – das ist bei seinen rund 40 Kilogramm auch nötig. Daher ist der Rüde sehr gut erzogen, Kommandos wie „steh“ oder „hier“ funktionieren auch bei Gassigängern, die ihm noch fremd sind. Praktisch!
Vom Macho zum treuen Begleiter
Bereits vor einigen Wochen beherbergte ich Carlos über Nacht. Damals präsentierte er sich als 1a-Macho. Kurz nachdem ich das Licht löschte, kletterte er ohne große Scham auf mein Bett und ließ sich dort nieder. Als ich ihn zurück auf den Boden schickte, würdigte er mich quasi nur eines weiteren Blickes und verließ das Zimmer Richtung Couch. Mein erster Gedanke: Ts, du meinst du kriegst in der ersten Nacht alles, Hundefreundchen! Mein zweiter Gedanke: Das wäre mir in einer Ein-Zimmer-Wohnung nicht passiert.
In meinem Job muss ich dankenswerter Weise fast nie früh aufstehen. Die Male, die ich mich in der großzügig bemessenen Zeit morgens bei schönem Wetter in den Park bewege, lassen sich trotzdem an einer Hand abzählen. Dazu muss man nicht einmal einen Finger heben. Wenn da nun aber dieser Begleiter auf vier Beinen ist, der Schwanz wedelnd und freudig aufgeregt jeden Grasbüschel beäugt, dem Kaninchen hinterher schnuppert oder den 30. Baum inspiziert, ist es einfach eine großartige Möglichkeit zu entspannen. Zumindest bis der aggressiv auftretende, wie wild bellende Chihuahua um die Ecke kommt. Der lässt Carlos Gott sei Dank komplett kalt.
Was auch immer angelaufen oder angerollt kommt: Kinder, Fahrräder, Jogger, Fußgänger – Carlos bleibt tiefenentspannt. Sein seelenruhiges Gemüt ist Gold wert. Ob Pubquiz in der Kneipe, Essen im Restaurant oder Spazieren am viel besuchten Rhein, der sanfte Riese hört aufs Wort (spätestens aufs dritte) und trabt brav in gewissem Umkreis umher. Einziges „Manko“: Das große Baby mag es nicht, alleine zu sein. Bleibt er ohne jemanden im Auto oder in der Wohnung zurück, fängt er zu winseln und zu weinen an. Keine Option.
Während die zweibeinigen Besitzer auf der Insel ihren Urlaub genießen, fängt die Auszeit für ihren Vierbeiner wahrscheinlich an, sobald sie wieder da sind. Ob Essen mit Freunden, Tennistraining oder Zumba – fast jeden Abend heißt es: Komm Carlos, runter von der Couch, wir gehen nochmal los! Dafür ernte ich einen äußerst vorwurfsvollen Blick. Heute, so hoffe ich, wird es sich aber doch ein wenig für ihn lohnen. Es lockt nämlich Grillfleisch am Rhein… Er muss ja nicht wissen, dass auf ihn nur sein Knochen wartet.
Schön ist es, als Hund auf der Welt zu sein
In dieser Woche konnte ich einmal mehr bewundern, welche Vorteile es hat, Vier- statt Zweibeiner zu sein. In Bahn und Bus trifft man regelmäßig Menschen, die nur darauf warten, ihre Hände sanft über das Hundefell zu bewegen (ich bin übrigens einer dieser Menschen). Streicheleinheiten gibt’s also umsonst. Genauso wie Komplimente. Gegenüber Personen sind wir da ja oft nicht so freigiebig. Als Hund aber fliegen einem die netten Worte nur so zu: „Der ist aber schön/brav!“ Einmal erntete er sogar das Prädikat Prachtkerl. Einmal gab es dafür auch die Aussage: „Ist der nicht etwas breit für einen Ridgeback?“ Sorry Carlos, nimm es nicht persönlich. Und dann wäre da der schmachtende Hundeblick, der einem in so mancher Situation gelegen kommt. So gibt’s in der Eisdiele gratis Waffeln…
Zuhause bekommt der werte Rüde übrigens immer als Erster Essen. Das war bei unserer Susi auch nicht anders. Der Hund kommt eben immer zuerst dran.
Morgen ist es soweit: Das große Baby wird wieder abgeholt. Dann werde ich vor der Arbeit wieder länger im Bett liegen bleiben, statt bei schönem Wetter um den See zu flanieren. Und vergeblich warten, dass mir etwas tapsend ins Schlafzimmer folgt, um sanft schnaufend neben mir einzuschlafen. Was bin ich froh, dass der gute Carlos und seine lieben Besitzer nur zwei Straßen entfernt wohnen…
P.S.: Eine Handynummer hat Carlos mir bislang nicht eingebracht. Aber der Sommer auf den Poller Wiesen ist ja noch lang!
2 Kommentare
Vielen Dank für deine tolle Erzählung!
Ich könnte mir nicht vorstellen, unseren Sisko abzugeben, auch nicht auf Zeit. Falls es aber durch irgendwelche Umstände unumgänglich ist, hoffe ich, dass so eine liebe Seele, wie du es bist, da ist.
Viele herzliche Grüße
Lothar
Danke Lothar! Susi haben wir auch nie in andere Hände gegeben, aber inzwischen weiß ich, es gibt viele liebe Seelen, die einfach nicht 24/7 Zeit für einen Hund haben und sich freuen, eine liebe Hundemama bzw. ein lieber Hundepapa auf Zeit zu sein 🙂 Ich bin sehr froh, dass mir Carlos anvertraut wurde!