Es gibt Sachen, die passieren einem auf dem Land. Da verpasst man beispielsweise den Bus und kann erst am folgenden Tag den nächsten nehmen. Und dann gibt es Sachen, die erlebt man eher in der Großstadt. In dieser Liste kann ich seit Samstag eine weitere Erfahrung abhaken: Ich wurde evakuiert.
Bereits beim mittäglichen Spaziergang – Carlos war zu Besuch – gab es erste Anzeichen, dass dieser Samstag etwas anders verlaufen würde als geplant. Statt in den Wald und zum Weiher zu laufen, stoppte uns bereits flatterndes Absperrband. Ich dachte mir dabei nichts und drehte um, ohne nachzufragen. Sollte es halt die Runde im Park sein. Dort trafen wir lediglich auf drei Drehteams, vermutlich für irgendeine Scripted Reality-Serie. Die baten uns höflich, nicht in ihre Kameraeinstellung zu laufen. Wir gingen natürlich großzügig außen rum. Meine Begleitung, weil er zuhören kann, und ich da meine Begleitung mich auf die Bitte aufmerksam machte (nachdem ich nicht zugehört hatte).
Nachdem der Gassigang beendet war, ging’s für mich und Carlos zum verabredeten Tennisspiel mit einer Mannschaftskollegin. Alles wie immer. Neben ein paar Punktgewinnen war dort der wichtigste Sieg ein Blickduell mit Carlos, das ich – ich wiederhole: ICH – gewann! Der Kommentar einer Zuschauerin des Spektakels: „Das ist halt Erziehung!“ Mein Zufriedenheitslevel stieg auf 9.000 Punkte. Und hielt sich bis zum nächsten Ballwechsel.
Die Autorin singt. „Das sind keine 500 Meter, nie im Leben…“
Halb sieben hüpften Carlos und ich geschwind ins Auto (eigentlich nur ich geschwind, Carlos lässt sich da immer etwas Zeit) und fuhren flugs nach Hause. Denn wir hatten zwei Freundinnen eingeladen, um abends der Eurovisions-Veranstaltungs-Gaudi vor dem heimischen Lichtkasten zu frönen. Wohnung und ich waren bereits in heller Vorfreude über den anstehenden Besuch. Im Auto lief Radio Köln: „…Bombenfund in Raderthal. Bewohner im Umkreis von 500 Metern werden evakuiert…“ Kurze Denkpause. Nein – das sind sicher mehr als 500 Meter zu uns!
RANDBEMERKUNG Polizisten an den Kreuzungen, von Polizeiwagen blockierte Straßen, Banner an den Häusern – zu diesem Zeitpunkt fühlte ich mich ein wenig in ein Videospiel versetzt. Ich musste spontan an Fallout denken, kurz vor der Evakuierung vor dem Einschlag der Atombombe. RANDBEMERKUNG
Ich biege also in meine Straße ein. Eine Polizistin bat mich anzuhalten. Erste böse Vorahnung. „Wollen Sie zu jemandem in der Straße?“ – „Ich wohne hier..“ – „Was haben sie heute noch vor?“ – „Ich hatte Freundinnen eingeladen…“ – „Das wird heute nichts, wir haben schon fast die ganze Straße evakuiert.“ Mit dem Blick auf meine verschwitzten Sportsachen und den kurzen Tennisrock (es war kalt) kam mir die nächste Frage in den Sinn: „Kann ich noch kurz duschen?“ – „Duschen nicht, aber Sie können sich noch etwas überziehen.“ Ich bedankte mich, schloss das Fenster und parkte vor unserem Haus. Dort spurtete ich schnell zum nächsten Ordnungsmenschen: „Ist es okay, wenn ich in 15 Minuten raus bin?“ Geschmeidiges Nicken. Sehr gut. Carlos und ich also flugs ins Haus, ihn auf die Couch geschickt und mich der Klamotten entledigt. Gleichzeitig die Freundinnen angerufen, Stichworte „Bombe“, „Evakuierung“ und „müssen auf andere Wohnung ausweichen“ fallen gelassen. Ich erinnere mich, dass ich noch kurz dankbar war, dass es sich „nur“ um eine Bombenevakuierung gehandelt hat. Zwar herrschte eine gewisse angespannte, hektische Stimmung, dennoch war die 5-Minuten-Dusche immerhin noch drin.
Nicht’s wie weg hier und ab nach Nippes
Fix ging’s weiter: raus aus der Dusche, Kappe auf die nassen Haare, rein in normale Klamotten, Hundedecke und -fressen eingepackt, Rucksack geschultert, Carlos angeleint und los. Ab zur nächsten Haltestelle – Zollstock Südfriedhof wurde nicht mehr angefahren – und in die Bahn.
Wir wichen für diesen Abend auf die Wohnung meiner Freundin aus und verbrachten einen wundervollen Eurovisions-Abend inklusive Deutschland-ist-auf-dem-letzten-Platz-Pleite, Pizza, Schokolade, Hundefutter und typischen Mädelsgesprächen. Herrlich. Ich konnte ab dem Zeitpunkt, als Carlos und ich mit einem Rucksack bepackt aus der Wohnung „geflohen“ waren, nicht mehr aufhören zu grinsen. Dieser Abend hatte sich seit dem Losfahren am Tennisplatz so unerwartet, spontan und aufregend entwickelt, es war ein Traum. (Selbstverständlich nur in Anbetracht der Tatsache, dass die Bombe gegen halb zehn erfolgreich entschärft, niemand verletzt wurde und nichts zu Schade gekommen war). Ich wohne nun schon seit dreieinhalb Jahren in Köln und habe schon von einigen Bombenevakuierungen gehört, nur selbst war ich bislang nie betroffen gewesen. Leider versäumte ich, ein Bild von meinem mit Banner verzierten Haus zu machen, das sonst an dieser Stelle hätte erscheinen können. Aber wer weiß, was die Bauarbeiter beim Buddeln noch so finden…
Funfact: Der DHL-Bote hat seine Aufgabe ernst genommen und es geschafft, mein Päckchen noch in der laufenden Evakuierungsphase bei den Nachbarn abzugeben. Hut ab!
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